IM THEATER UND IM WIRKLICHEN LEBEN

Was macht eine(n) SchauspielerIn zu einem guten Schauspieler? Die Frage stellte man mir während meines Regie-Studiums. 

Durchlässig muss er sein. 

Fantasievoll. 

Spielfreude muss sie haben. 

Und die Fähigkeit zur Imagination. 

Und vor allem: Sie müssen mich überraschen können. 

 

Bei meinen letzten beiden Theaterabenden hatte ich das seltene Glück so einen Schauspieler, der all das hat, in einer Hauptrolle auf der Bühne erleben zu dürfen.  Was für ein Fest! 

 

Bei der zweiten Inszenierung konnte ich ihn im

Vergleich mit über zwanzig anderen Spielern sehen. Was war der Unterschied? Warum blickte der ganze Saal auf ihn? Was machte ihn im Spiel mit den anderen so unwiderstehlich? Warum klang seine Stimme so glaubwürdig? Warum überraschte er mich immer wieder mit einer Geste, mit einer Bewegung, die so wenig einstudiert, so authentisch, so leicht war, deren Energie mich packte und mitriss? 

 

Er war frei. 

Sein Körper und sein Geist waren frei. 

Was heißt das? Was meine ich damit? Ich versuche es in Worte zu fassen, auch wenn mir bewusst ist, dass ich damit eine Auslassung vornehmen muss - vielleicht das Wichtigste ausschließe:

 

Sein Körper erinnert mich an den meines Sohnes, der gerade laufen gelernt hat. Der Kopf sitzt lose auf dem Hals.  Hals und Nackenlinie verlaufen gerade: diese Aufrichtung - da sieht man nichts von einem Schildkrötenhals. Nein, der Hals kerzengerade und gleichzeitig beweglich. Nicht steif sondern dynamisch. Die Schultern und der Brustkorb sind nicht übertrieben muskulös, sondern angebunden an die Hüfte. Die Hüfte schwingt frei bei jeder Bewegung, der Psoas pumpt bei jedem Schritt. So viel Energie. Und die Atmung - ach, die Atmung! Sie  ist sichtbar in jeder Faser des Körpers. Das Zwerchfell schwingt bei jedem Atemzug frei nach unten und da ist so viel Luft. Und Luft ist Freiheit. 

 

Ich habe ihm jede Bewegung geglaubt, hing an jedem Wort, das seine Lippen verließ, erlebte jede seiner Gefühlsregungen selbst auch.

 

Was für ein Schauspieler. 

 

Ich kenne ein paar Menschen, die so viele Talmi-Methode®-Behandlungen bekommen haben, dass ihr Körper sich erinnert und aufrechter, freier, energiereicher ist. Ihnen zuzusehen bereitet mir ähnlich viel Freude. Da ist eine Angstfreiheit in ihrer Präsens, die ich nur von Kindern kenne. Dahin wollen wir zurück. Nicht nur auf der Bühne. Auch im Alltag. Im Umgang mit unseren Kindern. Im Umgang mit anderen Menschen.

Nora Schuessler